Berlin (ots) – Insektenatlas: Globales Insektensterben muss mit nachhaltiger
Agrarpolitik verhindert werden
75 Prozent unserer wichtigsten Kulturpflanzen sind von der Bestäubungsleistung
von Insekten abhängig. Doch global verzeichnen Insektenpopulationen dramatische
Rückgänge. So sind etwa bei der Hälfte der 561 Wildbienenarten in Deutschland
die Populationen rückgängig. Das stellt der Insektenatlas 2020 fest, den die
Heinrich-Böll-Stiftung und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
(BUND) heute in Berlin erstmalig vorgestellt haben. Insekten halten das
ökologische System dieses Planeten am Laufen. So droht beim Wegfall tierischer
Bestäubung einzelnen Obst- und Gemüsesorten wie Äpfeln, Kirschen, Pflaumen oder
Gurken ein Ernterückgang von bis zu 90 Prozent. Insekten verbessern zudem durch
das Zersetzen von Dung und abgestorbenen Pflanzenteilen die Bodenqualität und
reduzieren Pflanzenschädlinge. So können dem Insektenatlas zufolge Marienkäfer
den Befall mit Getreideblattläusen um 80 Prozent reduzieren.
Unbestritten sind Insekten eine wichtige Grundlage der Landwirtschaft und
unserer Lebensmittelproduktion. Dennoch zerstört die intensive Landwirtschaft
mit ihren Folgen die Lebensgrundlage von Insekten in immer größerem Ausmaß:
Große, monotone Felder ohne Hecken oder Grüninseln sowie Kunstdünger und
Pestizide vernichten Rückzugsgebiete von Nützlingen und fördern die Ausbreitung
von Schädlingen. Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung: „Der
globale Schwund von Insekten ist dramatisch. Ursache Nummer 1 ist die
industrielle Landwirtschaft: Weltweit treiben Monokulturen mit Energie- oder
Futterpflanzen für unsere Massentierhaltung in Ländern wie Brasilien oder
Indonesien die Entwaldung, monotone Agrarwüsten und den Pestizideinsatz massiv
voran. So hat sich alleine in Argentinien der Pestizideinsatz seit den 1990er
Jahren verzehnfacht. In der EU längst verbotene oder nicht mehr lizensierte
Pestizide der großen Chemieunternehmen wie Bayer und BASF werden global
weiterhin fast unbeschränkt gehandelt. Mit dem Resultat, dass in Kenia fast 50
Prozent der Pestizide hochtoxisch für Bienen sind und in Brasilien über 30
Prozent.“
Mit Blick auf die Agrarindustrie betont Unmüßig weiter: „Von industrieller
Landwirtschaft profitieren nur die großen Agrarkonzerne – auf der Strecke
bleiben Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, Konsumentinnen und Konsumenten und eben
auch die Insekten. Die Politik muss endlich ihrer Verantwortung gerecht werden
und umsteuern – in Europa und in den Handelsbeziehungen mit Drittländern. Im
Mercosur-Abkommen ist auch eine Zollreduktion für Chemieprodukte ausgehandelt
worden, unter die auch Pestizide fallen. Das Ziel noch mehr Pestizide in die
artenreichsten Regionen der Welt zu exportieren verhöhnt alle nationalen
Nachhaltigkeitsbemühungen. Pestizide, die in Europa aufgrund ihrer
gesundheitsschädlichen oder gravierenden ökologischen Wirkung nicht mehr
zugelassen sind, dürfen von deutschen Konzernen auch nicht länger in anderen
Ländern vertrieben werden.“
In diesem Zusammenhang betont Olaf Bandt, Vorsitzender des BUND, wie wichtig
eine Reduzierung des Fleischkonsums für den Insektenschutz sei. „Das Sojafutter
für die intensive Tierhaltung stammt aus südamerikanischen Staaten, die dafür
artenreiche Landschaften in Monokulturen verwandeln. Wir müssen beim
Insektenschutz auch unseren Lebensstil hinterfragen: Weniger Fleisch und Milch,
dafür artgerecht gehalten und mit fairen Preisen für die Bauernhöfe, das wäre
wichtig. Die im Einklang mit der Natur wirtschaftenden Landwirtinnen und
Landwirte brauchen ein einträgliches Auskommen. Doch Insektenschutz wird bislang
nicht an der Ladenkasse bezahlt, Bäuerinnen und Bauern bekommen ihn nicht
entlohnt. Hier ist nicht nur die Bundesregierung, sondern auch der Handel in der
Pflicht, für faire Erzeugerpreise zu sorgen.“
Heinrich-Böll-Stiftung und BUND sind sich einig, dass die bislang von der
Politik ergriffenen Maßnahmen nicht ausreichen, um das Insektensterben zu
beenden. Olaf Bandt: „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sich einig,
wie gravierend das fortschreitende Insektensterben ist. Doch politisch gehandelt
wurde bisher kaum. Die Vorschläge der Bundesregierung im
Insekten-Aktionsprogramm reichen nicht aus. Ohne einen Umbau der Landwirtschaft
ist das Sterben von Schmetterlingen, Hummeln und Käfern nicht zu stoppen.“ Dabei
müsse die Agrarpolitik die Betriebe unterstützen, weniger Pestizide einzusetzen,
weniger Dünger auszubringen und mehr Lebensräume für Insekten zu schaffen. „Die
Landwirtschaft muss beim Schutz der Insekten Teil der Lösung werden. Es braucht
deshalb für Bäuerinnen und Bauern mehr Beratung und andere Fördermittel, aber es
braucht auch klare gesetzliche Vorgaben, beispielsweise in Schutzgebieten“, so
Bandt weiter. „Öffentliches Geld muss zum Schutz der Insekten eingesetzt werden.
Die knapp 60 Milliarden Euro, die jährlich für Europas Landwirtschaft ausgegeben
werden, müssen in der neuen Förderperiode an eine naturfreundliche,
klimaschonende und tiergerechte Landwirtschaft gebunden werden.“
Weitere Informationen: Der Insektenatlas steht unter www.bund.net/insektenatlas
bzw. www.boell.de/insektenatlas zum Download bereit.
Der Atlas bietet auf über 50 Seiten und in über 80 Grafiken viele Daten und
Fakten über die Nütz- und Schädlinge in der Landwirtschaft.
Der Atlas kann für Unterrichtszwecke auch klassensatzweise bei der
Heinrich-Böll-Stiftung bestellt werden.
Pressekontakt:
Pressekontakt BUND: Katrin Wenz BUND-Agrarexpertin, 030-27586-549,
E-Mail: katrin.wenz@bund.net bzw. Sigrid Wolff,
BUND-Pressesprecherin, Tel.: 030-27586-425,
E-Mail: presse@bund.net, www.bund.net
Pressekontakt Heinrich-Böll-Stiftung: Michael Alvarez, Pressesprecher
Heinrich-Böll-Stiftung, Tel.: 030-28534-202, 0160-365 77 22, E-Mail:
alvarez@boell.de, www.boell.de
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