Schwalbach (ots) – Die Coronakrise beschleunigt die Digitalisierung bei den deutschen Energieversorgungsunternehmen (EVU). Davon sind 95 Prozent der in einer Studie der Unternehmensberatung AXXCON im Mai befragten EVU überzeugt. 66 Prozent sehen die Pandemie sogar als starken Treiber. Bei der Arbeit im Homeoffice zeigt sich hingegen ein geteiltes Bild: So haben auf dem Höhepunkt der Krise zwar drei Viertel der Führungskräfte im Homeoffice gearbeitet. Bei den Verwaltungs- und Büroangestellten waren es jedoch in 80 Prozent der Betriebe weniger als die Hälfte, bei 60 Prozent sogar weniger als ein Drittel. Und: Lediglich 46 Prozent der Unternehmen betrachten das Homeoffice als Modell der Zukunft. „Die Zurückhaltung zeigt, dass die Branche trotz des vorausgesagten Digitalisierungsschubs eher traditionell geprägt ist und zu einem großen Teil an der Anwesenheit im Büro festhalten will“, so Dirk Stieler, Partner und Experte für die Energiewirtschaft bei der Unternehmensberatung AXXCON.
Befragt wurden zu den Auswirkungen der Krise auf die digitale Transformation ihres Unternehmens 114 Geschäftsführer, IT-Leiter und Chief Digital Officer. Es handelt sich um eine Erweiterung der Studie „Energieversorgungsunternehmen in der Digitalisierungsfalle?“ unter insgesamt 151 Führungskräften der Branche, die vor dem Ausbruch der Pandemie durchgeführt wurde. Möglich sind daher Aussagen zur Reaktion der EVU auf die Krise sowie ein Vorher-Nachher-Vergleich. So haben ebenso vor wie nach Corona ca. 60 Prozent der EVU konkrete Schritte für ihre weitere Digitalisierung geplant. Das bedeutet im Umkehrschluss: Rund 40 Prozent der Unternehmen haben dies bis jetzt nicht getan. Stieler: „Ohne Maßnahmenkatalog gibt es auch keinen Fortschritt. Hier bleibt es zunächst bei Lippenbekenntnissen.“
Neuer Trend zum agilen Arbeiten
Deutlich verändert haben sich nach dem Eintritt der Pandemie jedoch die Bereiche, in denen die Unternehmen mit der Digitalisierung voranschreiten wollen: So sank die Anzahl der Versorger, die konkrete Maßnahmen zur Modernisierung der IT-Infrastruktur planen, um 20 Prozentpunkte bzw. um 35 Prozentpunkte im Bereich Informationssicherheit. Um rund 20 Prozentpunkte häufiger genannt wurde hingegen das Thema agile Arbeitsmethoden. „Das ist ein Hinweis darauf, dass die Technik während der Krise gut funktioniert hat, die Mitarbeiter aber nicht die entsprechenden Fähigkeiten für die virtuelle Zusammenarbeit haben“, so Stieler.
Ebenfalls auffällig im Vorher-Nachher-Vergleich: Der Anteil der Unternehmen, die angeben, in für die Digitalisierung relevanten Bereichen keine Mitarbeiter mit neuen Kompetenzen zu benötigen, ist von 40 auf 60 Prozent gestiegen. Der Bedarf an Produkt- und Servicemanagern etwa ist um 15 Prozentpunkte gesunken, bei den IT-Plattform-Architekten beträgt der Rückgang zehn Prozentpunkte. Fast auf gleichem Level hingegen ist die Nachfrage nach Scrum Mastern und UI/UX-Entwicklern geblieben. Stieler: „Die Krise hat die finanzielle Situation der EVU verschlechtert. Die Angaben weisen darauf hin, dass Personalkosten gespart werden sollen.“ Auch hier zeige sich jedoch der Trend zum Ausbau der agilen Methoden.
Eher Follower als First Mover
Von der Gesamtheit der Unternehmen werden eine effiziente Energienutzung sowie innovative Services bzw. Vertriebsstrategien als die wichtigsten Bereiche der Digitalisierung betrachtet. Es folgen Portale und Apps für Endkunden, Mobilität sowie Portale und Apps für Geschäftskunden. Nur wenige Unternehmen verstehen sich bei diesen Entwicklungen jedoch als First Mover – je nach Bereich zwischen 27 und 12 Prozent. Am höchsten ist der Anteil der Vorreiter beim Thema effiziente Energienutzung, gefolgt vom Thema Mobilität. „In diesen Bereichen haben die EVU einen politischen Auftrag, den sie auch umsetzen. In anderen -wirtschaftlich durchaus bedeutsamen – Feldern wählen sie eher die risikoarme Follower-Strategie“, so Hendrik Prielipp, Consultant und Experte für die Energiewirtschaft bei AXXCON. Was ebenfalls auf eine starke Orientierung der EVU an politischen Zielen und Fördermaßnahmen hinweist: Jedes zweite befragte EVU betreibt oder plant den Bau eines Hochgeschwindigkeitsdatennetzes mit dem Ziel, sowohl für Geschäftskunden als auch für Endkunden Services im Bereich, Internet, Telefon und zum Teil auch TV anzubieten.
EVU in der Digitalisierungsfalle
Die größten Digitalisierungs-Hindernisse aus Sicht der befragten Unternehmen sind Datenschutz (56 Prozent), Silodenken im Unternehmen (54 Prozent) sowie mangelndes Know-how der Mitarbeiter (53 Prozent). Treiber der Digitalisierung ist in 46 Prozent der Unternehmen in erster Linie die Geschäftsführung, es folgen die IT-Abteilung mit 19 Prozent, Fachabteilungen mit 13 Prozent und abteilungsübergreifende Teams mit neun Prozent. Nur drei Prozent der Befragten nennen an dieser Stelle den Chief Digital Officer. Dieses Ergebnis zeigt, dass die Digitalisierung bei den Unternehmenslenkern angekommen ist. Gleichzeitig deutet es darauf hin, dass die Verantwortung für die Planung und Umsetzung konkreter Projekte noch nicht an der richtigen Stelle verortet ist, um ein konsequentes Vorgehen zu gewährleisten. Dazu sollte ein auf das Thema spezialisierter CDO oder ein Digitalisierungs-Projektmanagement-Office die Leitung übernehmen.
„Insgesamt läuft die Digitalisierung bei den EVU nach wie vor verhalten, zwischen Risikoaversion und Innovationsdruck sitzen sie in der Falle. Ein wirklich zukunftsweisendes und konsequentes Vorgehen ist nicht zu erkennen“, so Prielipp. Das birgt laut ihm eine große Gefahr: „Ohne neue innovative Services, Vertriebsstrategien und Geschäftsmodelle auch im Hinblick auf eine dezentrale Energieversorgung gefährden EVU ihre Zukunft.“
Für die Studie „Energieversorgungsunternehmen in der Digitalisierungsfalle“ der Unternehmensberatung AXXCON wurden 151/114 Geschäftsführer, IT-Verantwortliche und Chief Digital Officer deutscher Energieversorger befragt. Durchgeführt wurde die telefonische Umfrage im Januar/Mai 2020.
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